Haben Wut und Agression auf den sozialen Medien einen Effekt auf Diskussionen und Verhalten in der Offline Welt?

Im unter diesem Link verfügbaren Blogpost habe ich mich für mein Interview für die ORF Dokumentation Jeder gegen Jeden? Österreich rastet aus (online verfügbar) vorbereitet.

  • Was machen Soziale Medien mit unserer Debattenkultur?
  • Woher kommt die Wut der Menschen - wird diese möglicherweise online geschürt?
  • Gab es die Wut immer schon und hat sie online nur ein Sprachrohr gefunden?

Meine detaillierten Recherche-Notizen zur Datenlage, mit vielen Graphiken, Quellenangaben und spannenden Erklärungen findet ihr im Blogpost.

Hier ist eine kurze Zusammenfassung meiner Einschätzung zu diesen Fragen:

Soziale Medien haben unsere Debattenkultur fundamental verändert, indem sie eine Kommunikationsumgebung schaffen, die extreme Meinungen und intensive Emotionen besonders sichtbar macht. Die Plattformen bieten Menschen, die Anerkennung und Status durch aggressive Kommunikation suchen, eine ideale Bühne, da aggressives Verhalten online weniger Konsequenzen nach sich zieht als in persönlichen Begegnungen. Dieser digitale Raum verzerrt die Wahrnehmung der Realität, indem aggressive und polarisierende Individuen besonders viel Aufmerksamkeit bekommen - von den Medien, und anderen Social Media Usern. Die Folge ist eine zunehmende emotionale Spaltung, bei der sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen immer mehr ablehen gegenseitig. Diese emotionale Spaltung entspricht nicht unbedingt einer tatsächlichen Meinungsverschiedenheit. Die inhaltliche Polarisierung zu Themen wie Homosexualität, Klimawandel, Abtreibung usw. ist oft viel geringer, als uns die gefühlte Spaltung glauben lässt. Social Media verstärken vor allem diese emotionale und soziale Dynamik.

Die Wut der Menschen hat ihre Wurzeln in realen gesellschaftlichen Konflikten, wird aber durch soziale Medien verstärkt und sichtbarer gemacht. Diese digitale Sichtbarkeit erweckt den Eindruck, dass die gesamte Gesellschaft von Frustration und Zorn durchdrungen ist, obwohl dies nicht der Realität entspricht. Besonders betroffen sind Gruppen, die einen Statusverlust in der aktuellen Gesellschaft wahrnehmen - allen voran junge Männer, die sich durch gesellschaftliche Veränderungen marginalisiert fühlen. Konkrete Ängste, wie der mögliche Verlust von Privilegien, beispielsweise durch Klimaschutzmaßnahmen, die traditionelle Statussymbole wie das Auto in Frage stellen, befeuern diese Wut. Rechte politische Parteien nutzen gezielt diese Frustration und Verunsicherung, um Zuspruch zu generieren und gesellschaftliche Spannungen weiter zu verstärken.

Gesellschaftliche Konflikte sind keine Erfindung des digitalen Zeitalters, die gab es immer schon. Social Media habend diese Debatten jedoch viel sichtbarer gemacht. Die dort herrschende Aufmerksamkeitsökonomie rückt Wut und Konflikte übermäßig in den Mittelpunkt. Extreme und hasserfüllte Stimmen bekommen zu viel Aufmerksamkeit. Die nuancierte, vermittelnde Perspektive wird dabei meist unsichtbar: Menschen, die zufrieden sind und verschiedene Standpunkte verstehen können, bleiben in der Online-Kommunikation häufig stumm - die sogenannte “leise Mehrheit” zieht sich zurück. Gleichzeitig finden aggressive, nach Anerkennung und Status strebende Individuen (und populistische Parteien, die diese Problemlage ausnutzen), in sozialen Medien neue Möglichkeiten, ihre Narrative und Frustrationen zu inszenieren und zu verbreiten.